„Die Toten bekommen wieder ein Gesicht“

ehrenstaette

Die gemeinsame Einsegnung der zehn Granitstelen, verbunden mit mahnenden Worten, nahmen die Geistlichen Michael Stoffels, Volker Böhm und Pater Laurentius Englisch (v. li.) vor. Fotos: P. Stollenwerk

Die Gruppe russischer Frauen war tief bewegt und glücklich an der Einsegnung der zehn Namensstelen auf der Ehrenstätte für sowjetische Kriegstote zwischen Kesternich und Rurberg teilzunehmen. Die Frauen leben seit 20 Jahren in Aachen und hatten zufällig von der Feierstunde im Eifelwald erfahren.

„Das war sehr berührend“, sagte eine der Frauen, die erstmals die Ehrenstätte besuchte. Man müsse dem deutschen Volk danken für diesen wunderschön gestalteten Platz. „Besonders die Birken gefallen mir gut; sie erinnern mich an Russland.“

Rund 150 Gäste begleiteten die würdige, inhaltsreiche und kompakte Feierstunde am Sonntag auf der perfekt gepflegten Anlage. Erst viele Jahrzehnte nach Anlegung des Ehrenfriedhofes im Jahr 1961 ist es gelungen, die Namen aller hier 2322 bestatteten russischen Kriegstoten zu ermitteln. Nun sind diese Namen auf Granitstelen verewigt worden.

Simmeraths Bürgermeister Karl-Heinz Hermanns sah in den Gedenkstelen, die dank finanzieller Unterstützung von Bund, Land und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge vom Eifeler Steinmetzbetrieb Goffart nach europaweiter Ausschreibung gestaltet wurden, einen weiteren kleinen Beitrag „zu Frieden und Völkerverständigung.“

Umrahmt von gesanglichen Beiträgen einer Gruppe des Kirchenchores Lammersdorf, wurde bei der Feier noch einmal deutlich, wie tief die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges auch 70 Jahre nach dessen Ende noch in das Alltagsleben der Menschen eingreifen.

Dies betonte auch Bundestagsabgeordneter Helmut Brandt, der feststellte, dass „durch die Namensstelen die Toten nun wieder ein Gesicht bekommen.“ Er erinnerte an die Entstehungsgeschichte der Gedenkstätte, die nun um so mehr einen wichtigen Beitrag „gegen das Vergessen“ darstellten. Die Namensstelen gäben kontinuierlich Zeugnis „vom Leid, das der Krieg über die Menschen gebracht hat.“

Den Weg weitergehen

Bemerkenswerte Worte fand auch Evgenii Aleshin, der Vertreter der russischen Botschaft. 3440 Kriegsgräberstätten, auf denen 640.000 sowjetische Kriegstote bestattet seien, gebe es in Deutschland. Auch die Gedenkstätte in Simmerath sei ein „sichtbares Zeichen der Mahnung über alle politischen Grenzen hinweg.“ Aber nach wie vor stecke das Trauma des Krieges noch in Russen und Deutschen. Umso erstaunlicher sei es, dass beide Völker in der Nachkriegszeit aufeinander zugegangen sein. „Diesen Weg sollten wir weitergehen“, wünschte sich der Botschaftsvertreter.

„Diese Namen sind für uns Gold wert“, meinte Aleshin später, als Bürgermeister Hermanns ihm die Mappen mit der Namensliste überreichte. Immer noch gebe es zahlreiche Nachfragen aus Bevölkerung. Nun könnten weitere Angehörige den Weg zu ihren Toten finden.

Nachdem Wolfgang Held als Vertreter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit emotionalen Dankesworten die Feier abgerundet hatte und die politischen Vertreter Gestecke niedergelegt hatten, zog es auch noch viele Bürger zu einem stillen Gedenken an das steinere Friedhofskreuz.

Die Einweihung des Ehrenfriedhofes stand noch im Zeichen des kalten Krieges

Über 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges gilt der Ehrenfriedhof für sowjetische Kriegstote als Symbol der Völkerverständigung und als Mahnmal für den Frieden in der Welt.

Mit der zweiten Aufstockung der Rurtalsperre im Jahr 1957 ging ein umfangreiches Flurbereinigungsverfahren einher, womit sich zugleich eine zentrale Lösung für den Ehrenfriedhof anbot, denn bis dahin lagen die sowjetischen Kriegstoten, meist handelte es sich um deportierte Zwangsarbeiter, die an Erschöpfung und Unterernährung gestorben waren, an mehreren Stellen verstreut.

Während der Planungsarbeiten unter Federführung der Amtsverwaltung Kesternich häuften sich im gesamten Regierungsbezirk Aachen die Meldungen über das Auffinden von weiteren Toten. Als der Friedhof dann im Jahr 1961 eingeweiht, waren es rund 2300 Tote, die hier eine würdige letzte Ruhestätte gefunden hatten, doch nur von 300 kannte man zunächst die Namen.

Die Friedhofs-Einweihung fiel in die Zeit des kalten Krieges, und der Ost-West-Konflikt wirkte 16 Jahre nach Kriegsende auch in der Eifel nach. So verlangte die zur Einweihung geladene russische Botschaft, dass das Kreuz am Kopfende des Friedhofes entfernt werden solle.

Schließlich gelang ein Kompromiss, indem das steinere Denkmal mit einem grünen Kranz umhüllt wurde, und damit die Wirkung des von den Kommunisten ungern akzeptierten christlichen Symbols zurückgenommen wurde. Außerdem lehnte Moskau die Anwesenheit kirchlicher Würdenträger ab. Die Einsegnung des Friedhofes mit deutschen und orthodoxen Kirchenvertretern erfolgte dann zwei Wochen später.

Dennoch kam es bei der Einweihung zu einem politischen Eklat, weil der nordrhein-westfälische Innenminister den Wunsch äußerte, dass auch für deutschen Kriegstoten in Russland würdige Ruhestätten geschaffen werden mögen.

Als die Gemeinde Simmerath im Jahr 2011 eine Neuauflage der Broschüre „Ehrenstätte für sowjetische Kriegstote“ herausbrachte, waren die Namen von 373 Opfern bekannt. Um auch die Namen der restlichen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter herauszufinden, nahm die Gemeinde Kontakt zur Dokumentationsstelle Widerstands- und Repressionsgeschichte in der NS-Zeit und der SBZ/DDR der Stiftung Sächsische Gedenkstätten in Dresden auf.

So konnten der Gemeinde schon im April 2013 eine vorläufige Liste mit den Namen von 2305 sowjetischen Bürgern übergeben werden. Doch die genaue und vollständige Anzahl der umgebetteten Toten war erst ermittelbar, als die Gemeinde Simmerath dem Dokumentationszentrum weitere Unterlagen zur Verfügung stellte.

Warum dauerte die Identifizierung so lange? Erst in den Jahren 2000 bis 2004 gab es Vertragsabschlüsse mit den entsprechenden Archivdiensten der Russischen Föderation, Weißrusslands und der Ukraine.

Unter den Toten sind auch vier Kinder, das jüngste war erst einen Monat alt. 1552 der Toten stammen aus dem Kriegsgefangenenlager 326 bei Arnoldsweiler und waren zuerst auf dem Friedhof Merzenich bestattet. Die restlichen Toten wurden von Friedhöfen aus insgesamt 38 Orten der Region umgebettet.

Quelle: Aachener Zeitung